Wenige Kriegsflugplätze hatten kurz nach 2 Uhr früh Hochbetrieb. RAF Strubby mit seinen schwarzen Nissenbaracken mitten in den ebenen fruchtbaren Feldern von East Lincolnshire, wo Saubohnen und Kohlköpfe besser gediehen als junge Flieger, hatte mitten in der Nacht wenig zu bieten. Fast nur einen Steinwurf von der Nordsee entfernt und im Winter erbarmungslos dem Wind ausgesetzt, galt Strubby dem besetzten Europa näher als jeder andere Flugstützpunkt in der Grafschaft.
Stunden vor der Morgendämmerung des 25. April 1945 wurden dreizehn Mannschaften der Staffel 619 grob aus ihren Betten gerissen und auf Fahrrädern in undurchdringlichem Dunkel zur Mannschaftskantine in Marsch gesetzt, noch mit dem scharfen Geschmack des Biers der vergangenen Nacht im Mund und noch nicht ganz bereit zu einer allzu frühen Portion Ei mit Speck. Ihr Befehl lautete, Hitlers Bergdomizil in Berchtesgaden und die örtliche SS-Kaserne anzugreifen.
Der Krieg war fast zu Ende, Deutschland bereits in die Knie gezwungen. Aber der Feind leistete noch hartnäckigen Widerstand und verteidigte sein zerstörtes Land. Die jungen Männer des Bomberkommandos konnten jedoch endlich reelle Pläne machen, mit der größten Siegesfeier, die die Welt je gesehen hatte, inklusive.
So früh am Morgen waren der kanadische Pilot Flugoffizier Wilf De Marco und seine Besatzung noch nie zu einem Einsatz befohlen worden. Als sie im kalten LKW saßen, sich die Hände reibend und gähnend über den finsteren, verlassenen Flugplatz zu ihrer Lancaster holpernd und immer wieder dösend, konnten die meisten auf 27 Einsätze zurückblicken, von denen sie wohlbehalten zurückgekehrt waren. Der 27-jährige Unteroffizier Gordon Walker aus Toronto hatte drei Einsätze versäumt, als er im März mit Grippe im Bett lag. Um Walker den Schmerz zu ersparen, ein Heckschützenveteran mit der zweifelhaften Rolle eines Ersatzmannes zu sein, waren seine sechs Besatzungskameraden gleich damit einverstanden, mit ihm zusätzliche Einsätze zu fliegen, bis er seine Einsatzzeit beendet hatte.
Es schien ihnen länger aus fünf Monate her zu sein, seit sie als Neulinge zu ihrem ersten Einsatz befohlen wurden. Seither waren sie um fünf Jahre gealtert. Einige Leute nennen das Reife. Altgediente Flugbesatzungen könnten es als tiefe Kampfmüdigkeit beschreiben.
Aufgeregt und voll besorgter Erwartung waren sie am 22.November 1944 um 16:04 in der Lancaster III LM756 F-Freddy aufgestiegen, um die U-Bootstation in Trondheim, der mittelalterlichen Hauptstadt Norwegens, einer Stadt und einem Hafen an der Mündung des Nid am Trondheim Fjord zweihundertfünfzig strapaziöse Meilen nördlich von Oslo, anzugreifen. Eine Lancaster war in Strubby zurückgeblieben, als ihre verlegene Besatzung bemerkte, dass sie nicht aufgetankt worden war.
Sie flogen in geringer Höhe mit 170 weiteren Lancasters und sieben Mosquitos die Nordsee hinauf und gewannen an Höhe, als sie sich dem Ziel näherten, das jedoch mittels Vernebelung versteckt war, und der Leitbomber befahl den Abbruch des Einsatzes. Es war ein absoluter Tiefpunkt. Die Flugzeuge drehten um und warfen ihre Bomben mitten auf dem Heimflug ab. Wegen Schlechtwetters in Strubby und Treibstoffknappheit wurde De Marco nach Thornaby in Yorkshire umgeleitet, das eine Notlandebahn hatte.
De Marcos Funker Unteroffizier Jack Speers, ebenfalls Kanadier, berichtet: „Sie sagten uns, wir würden FIDO (Nebelauflösungstechnik) zur Landung einsetzen. Als wir uns der Landepiste in dichtem Nebel näherten, sahen wir vor uns einen roten Schein, der sich als zwei Feuerstreifen herausstellte, und wir landeten sicher mitten auf der Landepiste. Wir waren elf Stunden und zehn Minuten in der Luft gewesen und es schien umsonst gewesen zu sein. Ein Bursche sagte im Spaß: ‚Wenn man das Einsatz nennt, möchte ich zu meiner Mutter.‘“
Die Motoren wurden abgeschaltet und gebeugt vor Müdigkeit kletterten sie aus ihrer Lancaster. De Marco war 24 Jahre alt. Der breitschultrige, muskulöse, extrovertierte, 180 cm große Bursche italienischer Abstammung stammte aus Timmins in Ontario. Besitzer einer lauten Schrottkiste und immer gut bei Kasse, fuhr er allein nach Grimsby, wo seine Mannschaft seine heimliche Freundin vermutete. Als man ihn aufforderte seine rohe Kraft zu beweisen, hob er zwei Kameraden in die Höhe und nahm sie beiderseits in den Schwitzkasten. Als ausgezeichneter Eishockeyspieler verbrachte er seine Urlaube als Spieler und Trainer in Liverpool auf dem Eis.
De Marcos Flugzeugingenieur Freddy Cole sagte: „Wilf war ein wunderbarer Pilot. Seine Reaktionsschnelligkeit war mehrere Male unsere Rettung. Er hatte außerdem viel Humor. Wir hatten zwar alle einige Übungsstunden auf dem Link Trainer (Flugsimulator) absolviert, aber er sagte zu mir, ich solle das Steuer übernehmen und in seinem Sitz Platz nehmen, während er ganz locker nach hinten ging und seine Mannschaft in Schrecken versetzte, indem er so tat, als ob niemand die Maschine steuern würde.“
Nach einer langweiligen Übung soll De Marco angeblich unmittelbar über dem Meer bei Skegness mit dem Heck nach unten geflogen sein und dabei fast die Wellenkämme berührt haben und habe die zornigen Ausrufe des Heckschützen genossen, der sich über die unerwartete kalte Dusche nicht besonders freute. ‚Was zum Teufel machst du, du dummer Bastard?‘ schrie Walker. ‚Ich ertrinke fast hier hinten.‘ Die restliche Mannschaft bog sich vor Lachen, als der grinsende De Marco über der Küste hochstieg und wieder Richtung Strubby pilotierte. Die Schiffsmannschaften in der Gegend erzählten noch Jahre später eine beinahe unglaubliche Geschichte über den Tag, als sie einen Lancaster-Bomber mit einem perfekten Take-off aus dem Wasser beobachteten.
Unteroffizier Cole war ein schmaler, schüchterner und bescheidener Mann und Schlosserlehrling in Sivvy Street gewesen. Aus Exhall bei Coventry stammend, hatte sich im November 1940 sein Hass auf die Deutschen verstärkt, als die Stadt mehrere Nächte hindurch von Wellen feindlicher Bomber ausgelöscht wurde.
Er berichtet: „Sie waren arrogante Scheißer, mit denen man ohne Erbarmen umgehen musste. Ich wollte die Bastarde einfach töten und war entschlossen in die RAF einzutreten. Aber meine Augen waren für einen Piloten nicht gut genug, die RAF dachte jedoch, ich wäre als Ingenieur am besten geeignet. Ich verbrachte einige Monate in Saint Athan, Cardiff, wo die Ausbildung großartig war und ich alles Wissenswerte über die Merlin-Motoren lernte. Die Kameradschaft war etwas Besonderes und natürlich ging es ums Fliegen.“
Der Navigationsoffizier Norman Johnston, 21 Jahre alt, war groß, schlank, ruhig und wissbegierig, mit seiner Nase immer in den Büchern und mit einem wachsenden Interesse an der Fotografie. Er war mit einem Mädchen in Calgary, Alberta, verlobt, wo sein Vater als Bestatter arbeitete.
Johnston und Cole wurden Freunde und der Kanadier verbrachte seinen Urlaub manchmal bei dem Ingenieur zu Hause und besuchte die zerstörten Bezirke von Coventry, was seinen Hass auf die Deutschen neu anfachte. Im Wheatsheaf Pub steigerte sich der starke Zorn des ruhigen Mannes mit Cole an seiner Seite, als er sich gegen GIs behaupten musste, die den Fehler machten den Navigator einen ‚kanadischen Vagabunden‘ zu nennen.
Fliegerunteroffizier Arthur Sharman, 26 Jahre alt, ursprünglich ein Möbelzeichner aus Streatham, Süd-London, war der Bombenschütze. Cole beschrieb ihn als spitze in seiner Aufgabe, da er oft den besten Zielpunkt seiner Staffel schaffte.
Jack Speers, 24 Jahre alt, ein Flugzeugmechaniker aus Barrie, Ontario, und Gordon Walker waren große Freunde und beide in derselben ausgelassenen Hochstimmung. Sie lernten das englische Bier schätzen und fielen einige Male fröhlich betrunken in tiefe Gräben in Lincolnshire, nachdem sie sich auf gestohlenen Fahrrädern nicht mehr auf der Straße hatten halten können.
Cole erinnert sich an einen Tanzabend eines Nachts mit seiner Mannschaft im Gemeindehaus von Alford, als sie eine hoch oben auf einem langen Abhang abgestellte Dampfwalze entdeckten. Walker rief: „Ich wette, du kannst dieses Ding nicht fahren, Jack.“ „Wer kann das nicht?“, erwiderte Speers, kletterte fröhlich hinauf und löste die Bremse. Die Dampfwalze rumpelte immer schneller den Hügel hinunter, während Speers sich verzweifelt festhielt, vor Aufregung schrie und erfolglos das Stahlmonster in Sicherheit zu lenken versuchte, während die anderen lautschreiend hinterher galoppierten. Die Dampfwalze krachte außer Kontrolle in eine Mauer bei dem Gemeindehaus und die Einwohner von Alford flohen wie nach einem Bombenangriff. Cole berichtet, dass eine Regionalzeitung einen Artikel über den Ausreißer mit Stellungnahmen der Polizei brachte, die eine großangelegte Suche nach den Schuldigen veranstaltete. Geschnappt wurden sie jedoch nicht.
Bordschütze (Rumpfmitte) Unteroffizier Ted Norman, erst 19 Jahre alt, verbrachte die meiste Freizeit zu Hause im nahe gelegenen Markt Boston.
„Im Verlauf unserer Einsatzzeit hatten wir viel Glück“, sagt Speers. „Wir erlitten nur geringe Schäden und hatten einige Landungen knapp außerhalb unseres Stützpunkts wegen Treibstoffmangel und schlechten Wetters. Während der Ausbildung in Harborough, Leicestershire, fing ein Motor in unserer Wellington beim Abflug Feuer. Wir drehten zur Notlandung um, setzten hart auf und dachten, es wäre das Aus. Zum Glück blieben wir unverletzt.
Außer Berchtesgaden sind mir noch zwei Flüge im Gedächtnis geblieben. Wir flogen dreimal nach München. Das erste Mal, bei unserem zweiten Einsatz, war in einer Nacht mit glänzendem Vollmond. Es war wie bei Tageslicht in den Alpen und wir flogen niedriger als die Gipfel, um dem Radar auszuweichen.
Die Schweiz bot einen schönen Anblick, ohne Verdunkelung, ganz beleuchtet. Uns wurde befohlen um fünf Uhr zehn zu bombardieren, nachdem der Mond verschwunden war, knapp vor Tagesanbruch im Schutz völliger Dunkelheit. Das Ziel wurde durch Rauch und Brände im Süden der Stadt und durch rote und grüne Zielleuchten identifiziert. Wir bombardierten aus einer Höhe von 16.000 Fuß und flogen bei Tagesanbruch ins Gebirge. Es gab keine Probleme und es war ein grandioser Flug. Der Feuerschein war noch aus einer Entfernung von 100 Meilen sichtbar.
In der Nacht des 21.12.1944 kamen wir knapp davon, als wir Pölitz bei Stettin angriffen.“
Sie flogen eine LM 630 und ihr Ziel war eine Raffinerie für synthetisches Öl.
Wieder Speers: „Wir starteten um 16:45 und unser Befehl lautete über Dänemark und Schweden zu fliegen. Obwohl Schweden wie die Schweiz neutral war, waren dort viele deutsche Kampfflugzeuge. In Richtung Stockholm empfing uns schweres Flakfeuer, als wir uns näherten. Als wir mit der ganzen Staffel ankamen, hörte die Flak auf und als wir das Gebiet verlassen hatten, leuchtete ein großes ‚V for Victory‘ von Leuchtspurraketen hinter uns auf.“
Das Ziel war mit Rauch vernebelt worden, aber sie warfen ihre Bomben um 22:08 Uhr ab und drehten vom Ziel ab, als der Ingenieur ein Flugzeug direkt auf sie zukommen sah und schrie: „Abtauchen, Kapitän, abtauchen!“
Alles flog zur Decke und als Speers funken wollte, stellte sich heraus, dass die Antenne am Mast hinter der Pilotenkuppel bis zu den Zwillingsrudern am Heck vom anderen Flugzeug weggerissen worden war.
Als sie fast wieder in England waren und erfuhren, dass Strubby wieder im Nebel lag, wurden sie nach Norden zur Landung in Lossiemouth umgeleitet. Sie landeten um 03:17, wieder ein Marathonflug.
Sie griffen Dresden am 13.02.1945 an und wieder auf dem Rückflug konnten sie 150 Meilen hinter sich die Brände in die Höhe schießen sehen. Den Besatzungen wurde gesagt, dass sie große Ansammlungen von deutschen Truppen bombardieren würden, aber Pazifisten sind nach über 50 Jahren noch immer voll Zorn, weil so viele Zivilisten ums Leben kamen. Man nimmt an, dass 50.000 Personen in zwei Angriffen durch die RAF und in einem weiteren durch amerikanische Bomber getötet wurden, die insgesamt über 2.570 Tonnen Bomben abgeworfen hatten.
„Für uns“, sagte Cole, „war es ein Flug ohne besondere Ereignisse, ein gewöhnlicher Angriff und wir handelten einfach nach Befehl.“
Am 23.03. bombardierten sie Wesel zur Unterstützung der alliierten Truppen und überflogen den Rhein und Feldmarschall Montgomery war von der Genauigkeit ihrer Bomben so beeindruckt, dass er der Staffel 619 ein Glückwunschschreiben schickte.
Vor dem Krieg war die kleine Stadt Berchtesgaden, über 1.700 Fuß hoch in den Bayrischen Alpen gelegen, bei den Touristen sehr beliebt. Hier wurden seit 800 Jahren Salzbergwerke betrieben und die Einwohner waren für ihr handwerkliches Geschick als Spielzeugmacher bekannt. Aus Sicht des Kriegsministeriums in London waren wahrscheinlich die einzigen Touristen, die Hitlers Bergdomizil – abgesehen von RAF-Bombern – besuchten, Nazis und wenn von diesen welche bei diesem Angriff umkommen würden, wäre es ein Tag zum Feiern. Das Bomberkommando sandte 359 Lancasters und 16 Mosquitos aus, um Hitlers sogenanntes Eagle‘s Nest (Kehlsteinhaus) dem Erdboden gleichzumachen und jedes aufgeregte Besatzungsmitglied war - angespornt von dem Wissen um die Bedeutung seiner Aufgabe - voller Hoffnung, dass Hitler sich dort gerade aufhielt. Tatsächlich versteckte er sich wie eine Ratte in seinem Bunker tief unter der Reichskanzlei in Berlin.
Insgesamt wurden an diesem Tag 850 Lufteinsätze geflogen, wobei andere Flugzeuge Küstenbatterien auf der Friesischen Insel Wangerooge und eine Ölraffinerie in Tonsberg in Südnorwegen angriffen.
De Marco war am Steuer der Lancaster LM756-F-Freddy, die um 04:19 abflog. Freddy war ihr angestammtes Flugzeug, das sie schon bei vierzehn Einsätzen geflogen hatten. Sie fühlten sich in ihm zu Hause und freuten sich immer es zu ihrer Verfügung vorzufinden. Es flogen noch fünf weitere Lancaster der Staffel 619 nach Berchtesgaden. Der Angriff wurde von drei Gruppen amerikanischer Kampfflugzeuge unterstützt.
Cole berichtet: „Einer der Yankees flog zu Beginn des Fluges unter uns und gab mit seinen Flugkünsten an, von rechts nach links schwenkend. Ich war froh, als er vor uns war, obwohl er sich noch eine Weile in der Nähe herumtrieb, ehe er verschwand. Uns begegneten weder Flak noch deutsche Kampfflugzeuge auf der Strecke. Es schien zunächst, als sollte es ein Kinderspiel werden. Aber das änderte sich bald.“
Speers erinnert sich: „Wir gehörten zu den sechs Besatzungen zur Windanalyse, das heißt, wir führten die Staffel an, warfen Bündel von Window (gehäckselte Alufolie) ab, um das Radar der feindlichen Geschütze zu blockieren und um die Windrichtung dem Bomberkommando zurückzumelden, als wir über unser Ziel flogen. Diese Informationen wurden ausgewertet und vom Kommando an die ganzen Staffel zurückgesendet, um die Bombenziele festzulegen.
Das Ziel war in den Bergen schwer zu finden und wurde durch leichten Nebel erschwert und auf dem Boden lag Schnee.“
Acht Oboe Mosquitos, zur Markierung im Einsatz, hatten es schwer, weil ihre von einer Bodenstation zu empfangenden Signale durch die Berge blockiert wurden, obwohl sie in einer Höhe von 39.000 Fuß flogen.
„Es war unsere Aufgabe die SS-Kaserne zu bombardieren,“ sagt Speers. „Und wir mussten sehr langsam fliegen, um sie zu entdecken, da sie aus einer langen Reihe von Gebäuden bestand, wobei jeder zweite Abschnitt getarnt war, um allem das Aussehen eines kleinen Dorfes zu geben. Andere sollten das Kraftwerk oder das Eagle‘s Nest bombardieren. Da wir uns beim Anflug auf das Ziel Zeit ließen, war die erste Welle knapp hinter uns und als wir eine Schleife gezogen hatten und uns auf unserem eigenen Bombenanflug befanden, hatten sie schon bombardiert und waren bereits wieder weggeflogen. Und wir sechs flogen niedrig über unserem Ziel, fast wie Nachzügler. Inzwischen war das Window zu tief, das Flakfeuer war stark und die Geschütze in den Bergen nahmen uns unter Kreuzfeuer. Wir erlitten geringe Schäden auf dem Bombenflug und ich hörte Art Sharman rufen: ‚Volltreffer, Kapitän! ‚ nachdem er die Bomben abgeworfen hatte.
Wir hielten geraden Kurs für den Fotoflug, aber kamen unter schweres Kreuzfeuer und wurden mehrere Male getroffen. Sekunden später wurden wir aus allen Richtungen getroffen und ich kam unter dem Funkgerät zu liegen. Der Bordfunk war ausgefallen und wir konnten miteinander nicht mehr sprechen.“
Der Bombenschütze Arthur Sharman berichtet: „Ich lag in der Bugspitze auf dem Bauch und hatte gerade die Bomben aus etwa 12.000 Fuß abgeworfen. Ich hatte die Bomben fallen gesehen und freute mich, dass eine die Mitte des Platzes traf und eine weitere die SS – Kaserne. Das Kamerablitzlicht war gerade verlöscht, als unser Flugzeug getroffen wurde. Es gab eine große Explosion und der Bordfunk fiel aus. Ich konnte den Piloten nicht sehen, aber es war klar, dass es höchste Zeit war abzuhauen.“
Er nahm sich nicht mehr die Zeit den Piloten zu fragen, ob er abspringen dürfe. Sharman hatte seine Sache erledigt, es hatte keinen Sinn länger zu warten. Er befestigte seinen Fallschirm, öffnete die Ausstiegsluke und war als erster draußen. Er landete im Wipfel einer hohen Tanne und rutschte zu Boden, wobei er sich ein Bein brach. Er erinnert sich an diesen Augenblick:
„Ich lag mit großen Schmerzen auf dem Boden, ohne flüchten zu können, als die Deutschen kamen. Sie mussten uns herunterkommen sehen haben. Sie zwangen mich mit meinem gebrochenen Bein zu gehen, stießen mich den Berghang vorwärts und als sie ihre Gewehre auf mich richteten, dachte ich, ich würde jetzt erschossen werden. Sie brachten mich zur SS – Kaserne, welche wir soeben bombardiert hatten. Mein Bein wurde erst nach meiner Rückkehr nach England drei Wochen später behandelt.“
Kurz bevor Sharman die Bomben abgeworfen hatte, fragte der Navigationsoffizier Norman Johnston, der seine Neugier nicht unterdrücken konnte, den Piloten, ob er in seine Kuppel kommen könne, um hinauszusehen, weil er noch nie bei einem Angriff auf das Ziel hinunter geschaut hatte. Diese Bitte kam seinem eigenen Todesurteil gleich. Johnston stand kurz neben Cole an der Stelle, wo normalerweise der Platz des Ingenieurs war, und sah hinunter, hypnotisiert von den fallenden Bomben und den Explosionen weit unten.
Als ihre Lancaster Sekunden später von Geschützfeuer durchlöchert wurde, platzte Schrapnell durch die Scheibe und traf den faszinierten Navigator. Johnston prallte zurück und fiel um, sein Gesicht verzerrt von Schrecken und Schmerzen, streckte verzweifelt eine Hand aus und zog dabei den Ring von Coles Fallschirm, welcher auf dem Klappsitz des Ingenieurs lag. Der Fallschirm öffnete sich und Seide füllte meterweise das Cockpit, als Johnston im Sterben lag. Cole, der der nicht zu stillenden Neugier seines Freundes sein Leben verdankte, glaubte, dass Johnston durch einen Metallsplitter, den eine explodierende Granate von einem Propeller abgerissen hatte, getötet worden war.
Die Innenmotoren Backbord und Steuerbord brannten. Cole versuchte vergeblich den Brand zu löschen und er hörte den Kapitän schreien: „Raus, raus!!!“ Das Heck des Flugzeugs stand ebenfalls in Brand und er sah, wie der von Schrapnell verletzte Speers vor dem Hintergrund einer riesigen Flammenwand nach vorne hinkte, und er konnte einen Augenblick an die ausgebreitete Seide seines Fallschirms denken.
Der Navigationsoffizier war offensichtlich tot. Auch wenn er bloß schwer verletzt gewesen wäre, hätte ihm niemand wirklich helfen können. Anders als bei Soldaten unter Beschuss, die sich in einen Schützengraben fallen lassen und wieder klare Gedanken fassen können, war jetzt hier jeder auf sich allein gestellt, um zu überleben.
Wieder Speers: „Ich sollte das Flugzeug durch die rückwärtige Klappe mit den Schützen verlassen. Es gab eine schmale Schottklappe hinter dem Haupttrageholm, die ich zu öffnen versuchte, aber der Boden des Bombenschachts war explodiert und die Klappe gab nicht nach. Der Haupthahn, der die Tragflächentanks in Gleichgewicht hielt, war durchtrennt und der Treibstoff brannte lichterloh. Die Schützen konnten in dem Inferno, das im hinteren Teil des Rumpfes herrschte, nicht überleben.
Ich schaffte es nach vorne und fand Norm Johnstons Körper. Es gab keine Reaktion von Wilf, als ich auf sein Knie klopfte, was das verabredete Zeichen für die Evakuierung des Flugzeugs war. Der vordere Teil des Cockpits war weggerissen worden, er hätte nicht überleben können. Ein Teil des Armaturenbretts war weg. Art Sharman hatte die Ausstiegsluke geöffnet und war draußen. Freddy war schon da, bereit zum Absprung, aber sein Fallschirm war etwas durcheinander, nachdem er vorher irrtümlich betätigt worden war.“
Speers befestigte den Fallschirm am Ingenieur und gab ihm das Okay-Zeichen. Cole sammelte die Seide in ein großes Bündel und saß nervös neben der Luke. Speers gab ihm einen Schubs und war erleichtert, als er den Ingenieur sicher in den Luftraum verschwinden sah, ohne dass der nicht mehr verpackte Fallschirm sich in der Luke verfing.
Cole, der hilflos durch den Himmel wirbelte, wurde für einen Augenblick ohnmächtig und als er wieder zu sich kam, sah er, wie die brennende Lancaster in einen Berg krachte und explodierte. Sie enthielt die entstellten Leichen des Piloten, Navigationsoffiziers und beider Schützen. Es war ein grausam widersinniger Anblick, als Cole an diesem frischen Frühlingsmorgen ruhig hinunter schwebte und vergeblich zu verstehen versuchte, dass von den sieben Männern, mit denen er das Leben einige Monate lang geteilt hatte und die vor fünfzehn Minuten noch kräftige Kerle gewesen waren, plötzlich nur mehr drei am Leben waren. Er würde vier gute Freunde nie mehr wiedersehen. Vier Leben brutal ausgelöscht. Eine vierfache Zukunft zum Müll geworfen und vier Familien zerstört. Was für ein Glück nicht zu diesen zu gehören, aber was für ein Unglück für immer von ihrer Gesellschaft abgeschnitten zu sein. Aber die einprägsamen Erinnerungen an die Kameraden, die er soeben verloren hatte, würden nie verblassen. Drei Wiesen lagen weit unten und zum Glück landete er unverletzt auf einer von diesen, sonst wäre er gegen eine Bergwand gekracht. Bei diesem Einsatz ging eine zweite Lancaster verloren.
Freddy Cole wurde schnell entdeckt und per LKW zur SS-Kaserne nach Salzburg gebracht. Er berichtet:
„Kurz nach meiner Ankunft tauchten amerikanische Flieger auf und bombardierten Salzburg. Ich wurde von zwei SS-Wachen in einen Luftschutzbunker unter einer Burg gebracht. Sie waren wirklich nicht sehr freundlich. Ich kam später in eine Zelle des Salzburger Polizeigefängnisses, die ich mit zwei Franzosen und zwei Prostituierten teilte. Es war kein angenehmes Erlebnis.“
Jack Speers sprang durch die Ausstiegsluke ab und war ganz perplex wegen der alles beherrschenden Stille, nachdem Stunden lang vier brüllende Motoren in seinen Ohren gedröhnt hatten.
„Ich sah den Fallschirm über mir und der Boden schien mir so weit weg, sodass ich ein wenig zu schlafen beschloss. Bei meiner Landung schlug ein Bein gegen Stauden, was die Schmerzen noch schlimmer machte. Ich erinnerte mich, dass der Befehl gelautet hatte um 09:00 Uhr zu bombardieren, und eine größere Staffel sollte um 09:20 über dem Ziel eintreffen. Ich war auf einem offenen Feld und sah, wie Leute aus allen Richtungen herankamen. Ich hatte keine Ahnung, wie sie mit mir umgehen würden. Aber dann heulten die Alarmsirenen wegen einer weiteren Bomberwelle und alle flüchteten in die Stollen des Salzbergwerkes, die als Luftschutzbunker dienten. Schrapnell hatte mein linkes Bein und mein linkes Handgelenk durchbohrt. Ich konnte nicht gehen und musste einfach warten.
Ich sah, wie die das Ziel erreichenden Flugzeuge ihre Bombenklappen öffneten und ihre Fracht abwarfen. Es war unglaublich laut und der Boden um mich herum bebte. Es kam die Entwarnung und die Deutschen kamen wieder über das Feld auf mich zu.
Ich hatte nicht gewusst, dass Kampfflugzeuge uns Schutz gaben und plötzlich tauchten einige amerikanische Mustangs auf und feuerten. Wieder heulten die Alarmsirenen und ich blieb noch immer unbehelligt.“
Nachdem das letzte alliierte Flugzeug verschwunden war, hoben die Deutschen Speers auf eine mit Heu gepolsterte Leiter und brachten ihn zu einem Bauernhof.
„Man hob mich nun auf einen Heuwagen und ein alter grauer Gaul wurde vorgespannt. Dann kamen schon wieder Kampfflugzeuge im Tiefflug, feuerten wie wild und ich blieb erneut allein zurück. Ich hörte Wasser rinnen und sah ein Rohr, das zu einem Trog führte. Mein Mund und Rachen waren ausgetrocknet. Ich kroch vom Wagen herunter und trank lange von dem besten Wasser, das ich je gekostet hatte. Ich tauchte meinen Kopf ins Wasser und fing an wieder klarer zu denken.
Als sie mich den Berg hochzogen, sammelten sich mehr Menschen um uns, unter anderem kreischende Frauen, die mit Heugabeln nach mir stechen wollten. Wären nicht die mich bewachenden Soldaten hier gewesen, hätten mich die Frauen wahrscheinlich umgebracht.
Ich wurde in ein Gebäude gebracht, wo Freddy und Art bereits festgehalten wurden, durfte aber die beiden nicht sehen. Schließlich wurde ich in die Stadt Hallein, zwölf Kilometer von Salzburg, überstellt. Ich kam in ein altes Schulgebäude, in dem bereits andere Häftlinge, meistens wegen Erfrierungen amputierte, untergebracht waren. Mich haben sie in eine kleine Kammer neben einem Raum mit 60 weiteren Männern gebracht. Ich wusste nicht, aus welchen Nationen die anderen Häftlinge stammten, aber allen fehlte etwas: Hände, Füße, Ohren, Nasen, Beine oder Arme. Ich blieb über zwei Wochen dort.
Man steckte mich in einen Gips, da sie keine Verbände hatten. Sie benutzten Papier, das zusammen mit dem Gips hart wurde. Ich hatte Angst mich zu bewegen, da sonst die Flöhe scharenweise meinen Rücken auf und ab marschiert wären.
Ein Bursche in dem großen Zimmer hatte ein Akkordeon und spiele von früh bis spät ‚Lili Marleen‘ und ‚The Beer-Barrel Polka‘.
Die SS verhörte mich viele Male, da sie nicht glauben konnten, dass wir die ganze Strecke nach Berchtesgaden von England aus geflogen waren. Sie waren fest überzeugt, dass wir von einem der alliierten Flughäfen in Italien gestartet waren. Inzwischen hatte mein Bein eine schlimme Infektion und ich fürchtete schon, dass es mir ergehen würde wie allen diesen armen Teufeln.
Als Hallein von einer französischen Panzerdivision angegriffen wurde, entdeckten die Franzosen Hitlers Weinkeller und waren bald so betrunken, dass die Amerikaner sie herausjagen mussten, bevor sie die Stadt einnehmen konnten.
Alle liefen umher und sagten: ‚Hitler kaputt‘ und die Amerikaner waren ja bereits da, weshalb ich hoffte, dass der Krieg zu Ende wäre, aber keine Informationen erreichten mich. Am nächsten Tag konnte ich Amerikaner draußen unter einem kleinen Fenster sprechen hören, aber keiner kam ins Gebäude herein.
Es herrschte Ausgangssperre und niemand durfte hinaus, aber ein alter Mann brachte mir ein Stück Papier und einen Bleistift. Ich schrieb eine Nachricht und steckte sie in eine Urinflasche, die mir die Deutschen gegeben hatten, und warf sie aus einem Fenster oberhalb meiner Koje, aber noch immer kam niemand.
Man fand mich am nächsten Tag ungefähr um 17.00 Uhr. Sie entschuldigten sich, dass sie mich nicht früher gefunden hatten, und brachten mir Zigaretten, Wein und Schokoladetafeln. Ich wurde in ein freundliches, sauberes Zimmer getragen und nachdem ich in den Genuss einiger Dosen Entlausungspulver und, viel interessanter, einiger Flaschen Wein gekommen war, schlief ich so gut wie nie zuvor.
Man brachte mich in ein Feldlazarett in Salzburg, wo sich jetzt der Flughafen befindet. Nach einigen Tagen wurde ich zusammen mit anderen verwundeten Fliegern nach England zurückgeflogen und verbrachte die nächsten drei Monate im 17. Kanadischen Allgemeinen Feldlazarett in Woking, Surrey. Am 29.August 1945 kam ich mit dem Lazarettschiff ‚Lady Nelson‘ wieder nach Hause.“
Im Dezember 1945 heiratete Arthur Sharman Nancy Swift, die hübsche 19-jährige WAFF-Köchin, die er kennengelernt hatte, als sie in der Fliegermesse in Strubby arbeitete. Er hatte die Liebesbeziehung vor dem Rest der Mannschaft geheim gehalten, nachdem er sie beim Tanzen kennengelernt hatte.
Viele Jahre später flogen Jack Speers und seine Frau Barbara von Kanada nach Österreich und fuhren mit dem Auto nach Klagenfurt, wo seine vier ehemaligen Mannschaftskameraden bestattet sind. Ein Pfarrer hatte sich den Deutschen widersetzt, indem er für sie christliche Begräbnisse in Hallein durchführte. Ihre sterblichen Überreste wurden später exhumiert und von den Amerikanern wiederbestattet. Speers berichtet:
„Ich werde den Verlust dieser Jungs nie vergessen, an die ich als Brüder zurückdenke. Ich brach in Tränen aus, als ich an ihren Gräbern stand.“
Flying Into Hell von Mel Rolfe
Kapitel 18
Bombenangriff auf Hitler